Patrique Robert Noetzel
Rechtsanwalt

Die Datei „Gewalttäter Sport“

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Die Datei „Gewalttäter Sport“ hat keinen guten Ruf. Aufgrund regelmäßiger medialer Berichterstattungen sowie wiederkehrender Gerichtsurteile ist die umstrittene Datei auch vielen Bürgern bekannt, die keiner aktiven Fanszene angehören. Im Oktober 2024 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Rechtsgrundlagen der Datenspeicherung im Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) – in dem auch der Datenaustausch der Länder geregelt wird – teilweise verfassungswidrig ist und abermals vom Gesetzgeber reformiert werden muss (Urteil vom 1. Oktober 2024 – 1 BvR 1160/19). Andernfalls drohe die Abschaffung, wie Fanszenen- und Fanhilfen bereits seit Jahren fordern.

Was ist die Datei „Gewalttäter Sport“ und wie ist sie entstanden?

Im Jahr 1991 beschlossen die Innenminister auf der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder die Einführung einer zentralen Stelle, um eine Vereinheitlichung der jeweiligen Landesinformationsstellen Sporteinsätze zu schaffen. Aufgrund der Vielzahl von Bundesligavereinen in Nordrhein-Westfalen wurde die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) im Jahr 1992 beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen (LZPD) in Duisburg angesiedelt. Die ZIS ist aber nicht ausschließlich für die Koordinierung von Polizeieinsätzen an Spieltagen zuständig. Sie ist ebenfalls Herausgeberin des Jahresberichts „Fußball“ und für das Führen der Datei „Gewalttäter Sport“ zuständig. Diese Datei stellt eine Verbunddatei dar.

Verbunddateien dienen dem Austausch von elektronischen Datenverbunden von Bund und Ländern. Die gewonnenen Erkenntnisse können dabei dezentral von den Ländern in die Datei eingegeben und verarbeitet werden, gleichzeitig können sie von jedem Teilnehmer der Datei abgerufen werden. Das Ziel von Verbunddateien sei es, „Erkenntnisse für organisatorische und taktische Maßnahmen zu gewinnen, um gewalttätige Auseinandersetzungen und Straftaten zu verhindern“ (Verordnung über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen). Die Datei „Gewalttäter Sport“ dient der Speicherung von sportspezifischen Kenntnissen sowie deren Abbildung im polizeilichen Informationssystem INPOL.

Die Bezeichnung der Datei „Gewalttäter Sport“ ist jedoch irreführend, denn es werden nicht ausschließlich Erkenntnisse zu verurteilten Gewalttäter in dieser Verbunddatei eingetragen: Zum einen kann die Eintragung bereits mit der bloßen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erfolgen, also bereits lange bevor feststeht, ob der Beschuldigte tatsächlich Täter war. Zum anderen gilt die Datei nicht ausschließlich für Gewalttaten im Wortsinn, sondern ebenso für eine Vielzahl von Straftatbeständen, die gerade keinen Gewalt umfassen, wie zB Beleidigung oder Diebstahl

Rechtliche Grundlage

Nach Jahren der Unsicherheit, auf welcher Rechtsgrundlage das Sammeln der Daten von Fußballfans gestützt werden soll, herrscht mittlerweile Einigkeit darüber, dass § 29 Abs. 1 bis 5 BKAG die statthafte Ermächtigungsgrundlage darstellt. Doch nur weil eine Rechtsgrundlage existiert, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass ein Handeln der Sicherheitsbehörden auch verfassungsgemäß ist, wie zB der Fall der abgeschafften Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz eindrucksvoll aufzeigt. Jede Person hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgt. Der Betroffene kann grundsätzlich eigenständig bestimmen, inwieweit mit seinen persönlichen Daten umgegangen werden soll. Dieses Recht unterliegt Einschränkungen, insbesondere wenn das Allgemeininteresse überwiegt und das Handeln im Einzelnen verfassungsgemäß ist. Die Speicherung von personenbezogenen Daten ist daher rechtfertigungsbedürftig.

Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung im Oktober 2024 fest, dass das BKA-Gesetz in Teilen verfassungswidrig ist: Die Speicherung personenbezogener Daten in der Datei „Gewalttäter Sport“ gemäß § 18 i.V.m. § 29 BKAG ist unzulässig, soweit als einziger Grund ein laufendes Ermittlungsverfahren herangezogen wird. Denn der bloße Beschuldigtenstatus in einem Ermittlungsverfahren rechtfertigt keine anlasslose Speicherung. Es fehlt der Ermächtigungsgrundlage an einer klaren Zweckbindung, einer konkreten Speicherschwelle und einer Begrenzung der Speicherdauer.

Personenbezogene Daten dürfen laut Bundesverfassungsgericht nur gespeichert werden, wenn dies zur Prävention weiterer Straftaten oder Gefahren erforderlich ist. Dies sei bei der Speicherung von Daten für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten nur gegeben, wenn eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Betroffenen eine strafrechtlich relevante Verbindung zu möglichen Straftaten aufweisen werden und gerade die gespeicherten Daten zu deren Verhütung und Verfolgung angemessen beitragen können. Diese Prognose müsse sich auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen.

Problematisch ist zudem die Löschungspraxis: Daten werden aktuell erst gelöscht, wenn der Zweck entfällt, doch ein konkreter Zweck ist gar nicht definiert. Daher ist die Ermächtigungsgrundlage zu unbestimmt. Mitunter können Daten so über sehr lange Zeiträume gespeichert werden, ohne dass dabei deutlicher anhand des Gewichts der zu verhütenden oder aufzuklärenden Straftaten differenziert würde. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine feste Speicherfrist und betont, dass mit zunehmender Dauer die Wahrscheinlichkeit für die Erforderlichkeit der Speicherung sinke.

Der Gesetzgeber ist bis zum Ablauf des 31. Juli 2025 gefordert hier nachzubessern.

Update

Änderung des BKAG beschlossen

Der Bundestag hat im Juni 2025 die Änderung des BKAG beschlossen.  Die Datenspeicherung ist nur noch bei einer sog. Negativprognose zulässig. So heißt es in § 30a BKAG, dass eine „vorsorgende Speicherung personenbezogener Daten von Beschuldigten und Tatverdächtigen“ nur dann zulässig ist, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit der betroffenen Person oder sonstiger Erkenntnisse eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die betroffene Person künftig Straftaten begehen wird und gerade die Weiterverarbeitung der gespeicherten Daten zu deren Verhütung und Verfolgung beitragen kann.“ Mit § 77 BKAG wird zudem die Speicherdauer je nach Gewicht des Eingriffs genauer differenziert.

Kritik an der Verbunddatei und Folgen für Betroffene

Die Datensammlung und Speicherung in der Datei „Gewalttäter Sport“ steht jedoch nicht nur aufgrund der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Kritik und wird mit der Reform auch keine besseren Zustände mit sich bringen. Vielmehr offenbaren sich für Betroffene regelmäßig Repressionen im Alltag: Sie erfahren erstmals von ihrer Eintragung, sobald sie zB am Flughafen in eine Passkontrolle, mit dem Auto in eine allgemeine Verkehrskontrolle geraten oder wegen Bagatelldelikten gegen sie ermittelt wird und dort auf den Umstand hingewiesen werden. Betroffene berichten von unangenehmen Fragen und länger als gewöhnlich andauernden Polizeikontrollen, aber auch von besonders starken Grundrechtseingriffen, wie Ausreise- oder Betretungs- bzw. Aufenthaltsverboten.

Der Alltag eines erfahrenen Fananwalts, der sich für die Rechte aktiver Fans einsetzt, zeigt leider immer wieder, wie schnell jemand zum Betroffenen einer unzulässigen Eintragung in der Datei „Gewalttäter Sport“ werden kann. Sogar Ermittlungsverfahren, die nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt werden, führen nicht selten zur Eintragung in die umstrittene Verbunddatei. So sind in der Vergangenheit bei Rechtsanwalt | Strafverteidiger Noetzel sogar Sachverhalte bearbeitet worden, bei denen Personen selbst nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Fällen noch lange in der Datei geführt und nur deswegen mit Aufenthalts- und Betretungsverboten belegt worden waren. In vereinzelten Fällen genügte offenbar schon der bloße Kontakt zu Personen der gewaltbereiten Fanszene aus, um Personen in die Datei einzutragen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung die vielen Hinweise zur Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ernst nimmt und die Übergangsfrist bis zum Juli 2025 nutzt, um Fußballfans und ihre Grundrechte umfassend zu schützen!

Update

Der Bundestag hat aus unserer Sicht jedenfalls die Mindestvorgaben des Bundesverfassungsgerichts mit der Reform des BKAG beschlossen. Es bleibt abzuwarten, wie Polizei und Strafverfolger in Zukunft tatsächlich mit der Datei „Gewalttäter Sport“ umgehen werden und welche unverhältnismäßigen Eintragungen nunmehr gelöscht werden.

Ich bin jedenfalls bereit, den Kampf um die Rechte meiner Mandant:innen mit vollem Einsatz fortzusetzen.

Strafverteidiger Patrique Noetzel

Weil 100 Prozent
nicht genug sind,
wenn es um die Freiheit geht.

Patrique Robert Noetzel
Rechtsanwalt

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