Ausgangslage
Mobile Endgeräte wie Smartphones, Tablets aber auch einige Notebooks sind nicht mehr bloß mit Zahlen-Codes (PIN) oder Passwörtern geschützt, sondern können ergänzend durch „Touch-ID“ (mittels Fingerabdrucks) oder „Face-ID“ (mittels Gesichtserkennung) entsperrt werden. Nahezu jeder Smartphone-Besitzer nutzt diese Technologie, um einfach und zügig auf seine Daten zugreifen zu können. Was dem Nutzer den Alltag damit ungemein erleichtert, kann ihm in einem Strafverfahren jedoch zum Verhängnis werden. PINs müssen von den Strafverfolgungsbehörden regelmäßig mittels „Unlock“-Software in einem sehr zeitaufwendigen Verfahren „geknackt“ werden. Denn Beschuldigte müssen die PIN für ihre Geräte an die Strafverfolger nicht herausgeben. Nach dem Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 4 StPO und Art. 6 Abs. 1 EMRK) sind sie nicht dazu verpflichtet, an der eigenen Überführung aktiv mitzuwirken.
Daher geht es aus Sicht der Polizei und Staatsanwaltschaft wesentlicher schneller, „mal eben“ den Finger oder das Gesicht des Beschuldigten – eben auch zwangsweise – auf bzw. vor das Smartphone zu halten, um Zugriff zu erlangen. Auf diese Weise gelangen Strafverfolgungsbehörden mit geringem Aufwand an eine enorme Fülle von persönlichen Informationen (z.B. Chats auf WhatsApp, Telegram, Signal und Co., Kalendereinträge, Reise- und Einkaufsdaten), die eine Nachverfolgung von zumeist lückenlosen Verhaltens- und Bewegungsprofilen zulassen. So erscheint es naheliegend, das Smartphone gar mit der menschlichen Seele zu vergleichen (Greco, StV 2024, 276, 279).
Rechtliche Problemstellung und neue BGH-Entscheidung
Problematisch ist, dass die Strafprozessordnung (StPO) für das zwangsweise Fingerauflegen bzw. das Handy-vor-das-Gesicht-Halten keine spezielle Ermächtigungsgrundlage kennt. Hieraus müsste eigentlich folgen, dass die Strafverfolgungsbehörden eine solche belastende Ermittlungsmaßnahme wegen des sog. Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG; „kein Handeln ohne Gesetz“) nicht vornehmen dürfen. Zur Schaffung einer speziellen Ermächtigungsgrundlage müsste erst der Gesetzgeber tätig werden. In der StPO existiert mit § 81b allerdings eine strafprozessuale Generalklausel, die in der ersten höchstrichterlichen hierzu ergangenen Entscheidung vom BGH (Beschluss vom 13.03.2025 – 2 StR 232/24) – und davor bereits von anderen Gerichten (z.B. OLG Bremen, Beschluss vom 08.01.2025 – 1 ORs 26/24) – für die Rechtmäßigkeit biometrischer Entsperrungsmaßnahmen herangezogen wird. Die Anwendung ist allerdings äußerst zweifelhaft und beschneidet die Rechte von Beschuldigten in unangemessener Weise.
Fingerabdrücke zwecks Personenidentifizierung vs. Fingerabdrücke zwecks weitergehender Informationserlangung – nicht das Gleiche!
§ 81b Alt. 1 StPO sieht vor, dass „soweit es für die Zwecke der (…) Durchführung des Strafverfahrens (…) notwendig ist, (…) Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden“ dürfen. Während unter diese Norm bislang hauptsächlich Untersuchungen der körperlichen Beschaffenheit fielen, z.B. um den Fingerabdruck des Beschuldigten mit solchen vom Tatort abzugleichen (sog. daktyloskopische Vergleichsuntersuchung), sollen hiervon – offengelassen ob als „Fingerabdruck“ oder „ähnliche Maßnahme“ – nach der Auffassung des BGH auch biometrische Entsperrungsmaßnahmen umfasst sein (Rn. 37). Der Senat argumentiert, gerade weil der historische Gesetzgeber nicht jede technische Neuheit hervorsehen konnte, sei der weitgefasste Wortlaut der Norm für dieses Verständnis offen und umfasse auch solche Maßnahmen, die allgemein zum Beweis der Schuld oder Unschuld des Beschuldigten dienen (Rn. 39f.). Die anschließende Auslesung des Smartphones sei eine von der Entsperrung zu trennende Maßnahme, welche sich – ebenfalls höchst kritikwürdig (El-Ghazi NJW-Beil. 2024, 46; Cornelius NJW 2024, 2725, 2727f.) – allein auf die Vorschriften zur Durchsuchung von Beweismittelträgern (§§ 94ff., 102ff., 110 Abs. 3 StPO) stützen dürfe (Rn. 43).
Dabei lässt der BGH jedoch die Zweckrichtungen der Beweiserhebungsmaßnahmen einerseits der klassischen Identitätsfeststellung (§ 81b Alt. 1 StPO) und andererseits der biometrischen Entsperrung unberücksichtigt. Die bloße Abnahme von Fingerabdrücken zur Dokumentation bzw. Identifizierung einer Person weist ein qualitativ anderes Gewicht als eine solche zum weitergehenden Auffinden von Beweismitteln auf (Rottmeier/Eckel NStZ 2020, 193, 195; Cornelius NJW 2025, 2265, 2271). Der Beschuldigte kann sich im Fall der zwangsweisen biometrischen Entsperrung zwar nicht auf die Selbstbelastungsfreiheit berufen, da die Maßnahme des Fingerauflegens keine aktive Mitwirkung, sondern bloß eine passive Duldung erfordert, er wird jedoch gleichsam zum „Schlüssel“ der Informationserlangung gegen sich selbst verwendet, wodurch die Selbstbelastungsfreiheit nahezu unterlaufen wird.
Selbst wenn der Wortlaut des § 81b Alt. 1 StPO das Fingerauflegen bzw. Smartphone-vor-das-Gesicht-Halten als „ähnliche Maßnahme“ erfassen sollte, ist zu kritisieren, dass die Ermächtigungsgrundlage den in diesem Fall betroffenen Grund- und Menschenrechten keine spezifische und angemessene Beachtung schenkt (so verlangt es aber z.B. EuGH, Urt. v. 4.10.2024 – C-548/21 – Rn. 110). So werden insbesondere das gewichtige informationelle Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), der Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) und die Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh) tangiert. Eine konkrete Ausgestaltung der Eingriffsvoraussetzungen und -verfahren ist aber erforderlich und – wie die ausdifferenzierten Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung, Online-Durchsuchung und Wohnraumüberwachung (§§ 100a-100d StPO) zeigen – auch umsetzbar. Über dieses Defizit vermag eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche die Ermächtigungsgrundlage bloß für den Einzelfall beschränken kann und in der Praxis zumeist erschreckend knapp ausfällt, kaum hinweghelfen.
Fazit und mein Rat an Sie
Neue Technologien stellen auch die Strafverfolger und Anwender der bestehenden Gesetze vor neue Herausforderungen. Die genannte BGH-Entscheidung ist ein typisches Beispiel dafür, wie digitale Beweiserhebungen in vorhandene, aber anpassungswürdige Normen gepresst werden. Die Rechtslage bleibt weiterhin – insbesondere bis zu etwaigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) – noch offen, obwohl biometrische Entsperrungsmaßnahmen unter Zwangsanwendung nunmehr sicherlich zur gängigen Strafverfolgungspraxis werden. Mit dem unbeschränkten Zugriff auf den Datenpool „Smartphone“ ist eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft zügig und mit breiter Beweisgrundlage geschrieben.
Daher sollte jeder Beschuldigte umgehend einen kompetenten Strafverteidiger zu Rate ziehen, der Beschwerde gegen die fragliche Entsperrungsmaßnahme erhebt und das Auslesen der Daten gegebenenfalls verhindern kann. In der genannten Entscheidung des BGH stand ein Verwertungsverbot der auf dem Smartphone gefundenen Beweise im Raum, weshalb in einer etwaigen Hauptverhandlung ein Verwertungswiderspruch analog § 257 Abs. 1 StPO unerlässlich ist.
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