Patrique Robert Noetzel
Rechtsanwalt

Kein Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojekt-Sozialarbeiter

, ,
HomeKein Zeugnisverweigerungsrecht für Fanprojekt-Sozialarbeiter

Was ist das Zeugnisverweigerungsrecht?

Nahezu jeder kennt es – das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen (§ 52 StPO) und ein solches bestimmter Berufsgruppen, wie z.B. von Ärzten, Journalisten und Rechtsanwälten (§ 53 StPO). Das Zeugnisverweigerungsrecht ermöglicht es in bestimmten Fällen die Aussage vor Gericht zu verweigern, wenn dies der Wahrung der Vertraulichkeit ihrer beruflichen Beziehung dient. Dabei wird schon nach einem kurzen Blick in das Gesetz klar, dass es um den Schutz der besonderen Vertrauens- und Sonderstellung geht.

Verblüffend ist umso mehr, dass Sozialarbeiter:innen hiervon ausgenommen werden, obwohl diese in ihrer Stellung und der Art des Vertrauensverhältnisses den aufgeführten Berufen in nichts nachstehen. Vielmehr noch sind sie oftmals die ersten Ansprechpartner, welche einen geschützten Rahmen bieten, und bei denen juristische Laien oftmals ebenfalls vom Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts ausgehen.

Das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe

So kam es, dass das Amtsgericht Karlsruhe Ende 2024 drei Mitarbeiter des Fanprojekts des Karlsruher SC wegen versuchter Strafvereitelung durch Unterlassen zu Geldstrafen verurteilte (AG Karlsruhe, Urteil vom 28.10.2024 – 17 Cs 530 Js 45512/23). Die drei Mitarbeiter hatten sich zuvor geweigert, Zeugenaussagen in einem Strafverfahren gegen mehrere Personen der Karlsruher Ultraszene zu tätigen. Es ging um einen Vorfall aus November 2022: Beim Abbrennen von Pyrotechnik sind mehrere Personen verletzt worden. Daraufhin kam es mit dem örtlichen Fanprojekt zu einem Austausch zwischen aktiven Fans und den Geschädigten, welcher der Aufklärung dienen sollte. Nachdem die Staatsanwaltschaft Karlsruhe von diesem Gespräch erfahren hatte, lud sie die Sozialarbeiter des Fanprojekts zu einer polizeilichen Vernehmung vor. Doch die Sozialarbeiter beriefen sich auf das besondere Vertrauensverhältnis, das sie zu den Fans pflegen, und schwiegen zu den Vorwürfen.

Das Recht zu schweigen wurde ihnen jedoch durch die Entscheidung des Amtsgerichts Karlsruhe abgesprochen. Die Mitarbeiter des Fanprojekts könnten sich laut Gericht nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen, da sie keine gesetzlich geschützte Berufsgruppe im Sinne des § 53 StPO seien. Zudem verneinte das Gericht auch die Möglichkeit, sich auf ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu berufen. Damit seien die Sozialarbeiter verpflichtet, Auskunft zu erteilen.

Ein erheblicher Eingriff in die Arbeit der Sozialarbeiter in Fanprojekten

Soziale Arbeit beruht in erster Linie auf enger und vertraulicher Kommunikation zwischen Betroffenen und Sozialarbeitern. Eine offene und ehrliche Kommunikation ist für die Sozialarbeiter als erste Anlaufstelle bei akuten Problemen essenziell. Rolle des Sozialarbeiters in Fanprojekten ist es oftmals, den Fans in allgemeinen bis hin zu höchstprivaten Anliegen unterstützendend zur Seite zu stehen.

All das wird durch die Verpflichtung, als Zeuge aussagen zu müssen, gefährdet: Fans könnten sich in Zukunft davor scheuen, ihre (privaten) Probleme oder Anliegen offen zu teilen, weil sie stets befürchten müssen, dass alles Gesagte später gegen sie verwendet werden könnte. Dies betrifft nicht nur Fanprojekte, sondern auch Sozialarbeiter:innen in besonders schützenswerten Einrichtungen (z.B. Frauenhäuser oder Mutter-Kind-Einrichtungen).

Fazit

Es handelt sich um eine Entscheidung, die sowohl Fans als auch Sozialarbeiter:innen erheblich belastet, da sie mitunter den Sinn und Zweck der gesamten Arbeit infrage stellt. Es liegt also auf der Hand, dass das Absprechen des Zeugnisverweigerungsrechts als eine Art „Auffanglösung/Notlösung“ von den Behörden ausgenutzt wird, wenn ansonsten keine Beweismittel zur Hand sind.

Dabei wird offenbar sehenden Auges missachtet, dass auch strafprozessuale Institute wie z.B. der Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB), also ein Zusammenwirken von Tätern und Geschädigten zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung, konterkariert werden. Mangels Zeugnisverweigerungsrechts von Sozialarbeiter:innen wird der geschützte Raum zur gemeinsamen Auseinandersetzung faktisch zunichte gemacht. Nur noch bei entsprechender Anordnung der Staatsanwaltschaft und/oder des Gerichts würde überhaupt eine Aussprache zwischen Täter und Geschädigten durchgeführt werden. Es fehlt faktisch an einem Anreiz, das offene Gespräch zu suchen, wenn potenzielle Beschuldigte stets damit rechnen müssen, durch vertrauliche Kommunikation mit Sozialarbeitern sie selbst belastende Tatsachen zu schaffen. Auch den Geschädigten wird so die Möglichkeit zum Ausgleich mit den Tätern in geeigneten Fällen genommen.

Hier ist der Gesetzgeber gefragt, längst überfällige Reformen auf den Weg zu bringen, wozu ihn Gewerkschaften, Politiker:innen und Zusammenschlüsse, wie das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der sozialen Arbeit schon seit Langem fordern. Das Zeugnisverweigerungsrecht in § 53 StPO muss endlich um Sozialarbeitende erweitert werden.

Strafverteidiger Patrique Noetzel

Weil 100 Prozent
nicht genug sind,
wenn es um die Freiheit geht.

Patrique Robert Noetzel
Rechtsanwalt

Nächster Artikel

1. Die IBAN, ein Verkauf und ein Pkw auf Abwegen Ein Auto wird angemietet, außerhalb der Öffnungszeiten zurückgebracht, beim Vermieter abgestellt und die Autoschlüssel vor Ort belassen. Doch der Pkw soll seinen Weg nicht zurück zum Vermieter finden. Der mahnt…